Needs in Context
Wenn bei uns zu Hause an einem Wochentag alle vier in der Früh aufstehen und drei von uns pünktlich aus dem Haus müssen, dann läuft dies nicht immer ruhig und harmonisch ab. Nachdem ich dies nun schon einige Male miterlebt habe, ist in mir der Wunsch entstanden, besser zu verstehen, was hier vorgeht, und quasi mein eigenes Modell zu einem funktionierenden oder eben nicht funktionierenden Zusammenarbeiten zu entwickeln. Ich habe ein Gefühl, dass daraus Einsichten entstehen könnten, die weit über meine Kinder, uns Eltern, und das morgendliche Zähneputzen und Anziehen hinausgehen.
Konfliktäre Bedürfnisse
Unser gedanklicher Startpunkt sei dieser: Wir alle haben Bedürfnisse. Das kann etwas sein, das ich für mich tun will oder brauche, aber auch etwas, das ich tun muss – Pflicht und Notwendigkeit und so.
Im Zusammenspiel mit anderen, wie zBsp. dem von mir beschriebenen, sind meine Bedürfnisse manchmal konfliktär mit den Bedürfnissen einer anderen Person.
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So ein Konflikt zwischen zwei Bedürfnissen kann vieler Art sein.
- Es kann sich um einen direkten Widerspruch handeln, wenn A etwas will und B genau dies nicht will.
- Das kann sich aber auch nur um einen Ressourcenkonflikt handeln, wenn einen bestimmten Vorgang haben will , und B die für diesen Vorgang erforderliche Zeit aber anders nutzen will.
Befindet sich eines meiner Bedürfnisse im Widerspruch zu dem Bedürfnis eines anderen, kann ich damit auf verschiedene Weise umgehen.
- Entweder so, dass ich in einen Kampf trete mit der anderen Person, die das konfliktäre Bedürfnis hat. Bekannter Weise hat so ein Kampf das Ziel, dass ich mich gegen meinen Gegner durchsetze, ich mein Bedürfnis erfüllt bekomme, und er nicht.
- Oder so, dass ich – aus welchen Gründen auch immer – mein Bedürfnis hintanstelle. Das muss nicht für immer sein, denn auch wenn nicht jetzt, so ist es gut möglich, dass ich zu einem Zeitpunkt in der nahen Zukunft das Bedürfnis doch noch erfüllt bekomme.
Entscheidet sich mein siebenjähriger Sohn heute Früh um 7 für letzteres Vorgehen, dann würde ich als Vater sagen, dass er „folgt“, dass er „mitmacht“, und mit uns „am selben Strang zieht“. Mit anderen Worten: Er kooperiert, er lässt sich führen.
Führung zulassen
Funktionierende Führung ist, wenn die Bedürfnisse, die ich vertrete, erfüllt werden. Das sind dann typischer Weise nicht meine ureigenen Bedürfnisse, sondern jene, die der Gruppe oder allen zugutekommen. Für meinen Sohn ist das nachrangig. Ausschlaggebend für ihn ist, dass er seine Bedürfnisse hintanstellen und an der Erfüllung von anderen Bedürfnissen mitarbeiten muss. Das bedeutet es, die Führung eines anderen anzunehmen.
Und das ist gar nicht so naheliegend! Ganz sicher ist es nicht das Erste, das uns einfällt. Was sind also die Voraussetzungen, damit es zu so einem Verhalten kommen kann?
- Zuerst einmal muss er verstanden haben, dass es nicht nur ihn selbst mit seinen eigenen Bedürfnissen gibt, sondern auch andere Leute und deren Bedürfnisse – die mit seinen Bedürfnissen in Konflikt geraten könnten.
- In einer konkreten Situation ist es zweitens notwendig, zu erkennen, welches Bedürfnis meines Gegenübers es ist, mit dem mein Bedürfnis in Konflikt stehen könnte.
- Schließlich brauche ich irgendeine Herangehensweise, um angesichts eines solchen Konflikts eine Entscheidung zu treffen, ob ich diesmal kooperiere (das heißt meine Bedürfnisse zugunsten der Bedürfnisse des anderen aufgebe), oder kämpfe (weil ich an meinen Bedürfnissen festhalte).
Bedürfnisse abwägen
Auf welche Weise könnte ich ein eigenes Bedürfnis gegen ein fremdes, konfliktäres, abwägen?
- Utilitaristisch und absolut: Ich sehe mir nur mein eigenes Bedürfnis an und bewerte es. Ist es groß, werde ich dafür kämpfen – ist es klein, werde ich mir den Aufwand sparen und den geringen Verlust in Kauf nehmen.
- Objektiv und relativ: Ich könnte versuchen, gedanklich eine Position oberhalb oder außerhalb einzunehmen, beide Bedürfnisse bewerten und vergleichen – und entscheiden, welches der beiden Bedürfnisse (meines, seines) nach allgemeinen Maßstäben berechtigter (legitimer, schutzbedürftiger) ist.
- Altruistisch: Ich könnte dem anderen ganz einfach einen Gefallen tun.
- Strategisch: Gehe ich so vor, dann könnte es zuweilen Sinn machen, jetzt auf die Erfüllung meines Bedürfnisses verzichten, wenn a) mir daraus in der Zukunft ein Vorteil entsteht, oder b) ich auf diese Weise einen Nachteil (den Kampf selbst oder irgendwelche Konsequenzen) abwenden kann. Beide Punkte sprechen den Umstand an, dass es niemals nur um jetzt, sondern auch um den weiteren Lauf der Dinge – den zeitlichen Kontext – geht.
- Kooperativ: Ich könnte jetzt verzichten, wenn die Vergangenheit gezeigt hat, dass nicht immer ich es bin, der zurückstecken muss – und für die Zukunft das gleiche gilt. Dieser Ansatz spricht den Kontext der Beziehung an, der in vielen Fällen eine wichtige Rolle spielt.
Diese Liste kann man so zusammenfassen: Für die Abwägung zwischen meinen und anderen Bedürfnissen ist die Dringlichkeit (versus Aufschiebbarkeit) meines eigenen Bedürfnisses, die Nachvollziehbarkeit des anderen Bedürfnisses, meine Beziehung zum dem anderen und meine allgemeine strategische Ausrichtung ausschlaggebend.
Letzteres spielt bei meinen Kindern wohl noch keine so tragende Rolle. Die zuvor genannten Punkte könnten aber sehr wohl interessanten Ansätze für weniger Kampf und mehr Kooperation bieten – in Familien mit kleinen Kindern, aber nicht nur dort.
Und ich selber?
Und mit Blick auf die drei Voraussetzungen, weiter oben, könnten wir uns fragen:
- Wer sind denn die Leute, mit denen wir zumeist zu tun haben – und mit welchen Bedürfnissen dieser Personen kommen wir immer wieder in Berührung? Oder gar in Konflikt?
- Welchen meiner Bedürfnisse kann ich nicht ohne weiteres nachgehen, womit komme ich regelmäßig in Konflikt anderen Personen?
- Nach welchen Regeln und Maßstäben entscheide ich, angesichts eines Konflikts, zwischen eigenen und fremden Bedürfnissen? Wie ist das anders, wenn es mir besonders gut geht – wie, wenn es mir eher schlecht geht?
Durch das morgentliche Aufbrechen von Zuhause, und durch viele andere Gelegenheiten, bin ich sehr motiviert, a) für mich genau zu verstehen wie das eigentlich ist mit den Bedürfnissen und b) es so auf den Punkt zu bringen, dass ich es zumindest dem Großen erklären kann. Deiser Text ist dabei hinten rausgepurzelt. Vielleicht ist er auch dir von Nutzen – fürs morgentliche Aufbrechen, oder überhaupt fürs Leben.
